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Twittern aus dem Stadtrat?

07. April 2011

Update: Die Aachener Nachrichten titeln heute mit „Rat will Regeln für twitternde Politiker“ zum Thema….
Update: Piratenpartei Aachen kritisiert Überlegungen des Rats

Update: Ein erster Austausch von Argumenten findet sich unter diesem Post.

Soll man das? Darf man das? Was ist das?

Zunächst zur letzten Frage:
Twitter ist ein sogenannter Mikroblogging-Dienst. Angemeldete Benutzer können eigene Textnachrichten mit maximal 140 Zeichen eingeben. Diese Textnachrichten werden all den Benutzern angezeigt, die diesem Benutzer folgen. Der Herausgeber der Nachricht steht auf der Webseite des Dienstes mit einer Abbildung als alleiniger Autor über seinem Inhalt. Die Beiträge sind häufig in der Ich-Perspektive geschrieben. Das Mikro-Blog bildet ein für Autor und Leser einfach zu handhabendes Echtzeit-Medium zur Darstellung von Aspekten des eigenen Lebens und von Meinungen zu spezifischen Themen. Kommentare oder Diskussionen der Leser zu einem Beitrag sind möglich. Damit kann das Medium sowohl dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrungen als auch der Kommunikation dienen. Die Tätigkeit des Schreibens auf Twitter wird umgangssprachlich als „twittern“ bezeichnet. Quelle: Wikipedia

Es gibt in Deutschland seit längerem und an verschiedenen Stellen immer mal wieder die Diskussion ob das Twittern aus Gremiensitzungen gut ist oder nicht. Neben der Vorabinformation bei der Wahl des Bundespräsidenten und den Sorgen der Bundespressekonferenz, übergangen zu werden, wurde vor allem der Fall des Ausgburger Stadtrats Christian Moravcik (Grüne) bundesweit bekannt.

Ich twittere aus den Sitzungen des Stadtrats seitdem ich von den Aachenerinnen und Aachenern in mein Amt gewählt wurde. Für mich gehört dies zur Transparenz und Offenheit dazu, die von einem guten Politiker zu Recht erwartet werden darf. Diese Position ist natürlich nicht unumstritten – sonst würde ich diesen Beitrag nicht schreiben.

So gab es, wie mir berichtet wurde, nach der gestrigen Ratssitzung eine heftige Diskussion zu genau dieser Fragestellung. Einige Ratsleute waren sich unsicher, ob ich denn überhaupt twittern dürfte, ob ich nicht zu abgelenkt sei und anscheined auch, ob das nicht verhindert werden sollte.

Da das Augsburger Beispiel der Aachener Situation am nächsten kommt, habe ich vor etwa einer Stunde länger mit Christian (http://twitter.com/#!/ChrisGruen) telefoniert und mir von seinen Erfahrungen berichten lassen. Es war ein sehr interessantes Gespräch und ich bin mir sicher, dass wir in Aachen einige Fehler nicht machen werden, die in Augsburg leider schon passiert sind.

Ein Verbot ist beispielsweise schlichtweg nicht möglich (und auch nicht sinnvoll). Viel eher sollte man versuchen, das „neue“ Medium Twitter als zusätzlichen Kommunikationskanal zu nutzen. Dabei gilt es natürlich wichtige Randbedingungen einzuhalten, die die negativen Nebenwirkungen einschränken:

  • Es sollte keine digitale Paralleldiskussion geben, die der Diskussion im Saal „wegläuft“. Das Forum muss der Ratssaal bleiben.
  • Die Ratsleute sollten nicht übermäßig abgelenkt werden. Der Fokus muss bei der Ratsarbeit bleiben und sollte nicht durch das Lesen oder Schreiben von Kurznachrichten verlagert werden. Das gleiche gilt übrigens für Raucherpausen, das Studium der am Platz liegenden „Unterlagen“ oder die wichtigen Nebengespräche.
  • Diejenigen, die Twittern bezeugen nach Ansicht einzelner RatskollegInnen diesen nicht den gebotenen Respekt. Dieser Eindruck muss durch direkte Gespräche verhindert werden – es ist schlichtweg nicht so.
  • Die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten müssen gewahrt bleiben.
  • Das sind wohl die Hauptschwierigkeiten und Ziel muss es sein, diese negativen Aspekte mit den Vorteilen der Transparenz und zeitnahen Berichterstattung überein zu bringen.

    In Augsburg wird laut Christian hierzu ein Verhaltenskodex (Er mailt ihn mir in Kürze zu und ich stelle ihn hier online.) erlassen, dem sich die Ratsleute freiwillig unterwerfen. Das finde ich gut. Ergänzend könnte man auch einen Podcast der Ratssitzungen im Netz anbieten, so dass sich jeder Zuhörer seine eigene Meinung bilden kann. Oder auch durch einen „neutralen“ Twitterkanal z.B. des Presseamts der Stadt den Informationsfluss gewährleisten.

    Insgesamt gibt es wohl niemanden, der die Vorteile des Twitterns bestreiten würde. Hierzu zitiere ich aus einem Brief von Christian Moravcik, dem ich mich fast wörtlich anschließen möchte:

    Ich persönlich habe vergangenen Sommer angefangen über meine Tätigkeit als Stadtrat über den Kurznachrichtendienst „Twitter“ zu berichten. Ich informiere auf welchen Veranstaltungen ich bin und was in den Stadtratsausschüssen passiert und beschlossen wird in denen ich Mitglied bin. Auch über die Debatten und Beschlüsse des Augsburger Stadtrats informiere ich über diese Kurznachrichten.

    Auslöser hierfür war unter anderem, dass ich gerade in Gesprächen im Wahlkampf, mit jungen Bürgerinnen und Bürgern immer wieder mit einer großen Skepsis vor Politik und Politikverdrossenheit konfrontiert wurde. Aussagen wie „Politiker tun doch sowieso nichts.“, fielen des Öfteren. Für mich persönlich sind solche Aussagen ein Warnsignal für unsere Gesellschaft, die ich sehr ernst nehme. Wir erreichen mit den herkömmlichen, oder klassischen Mitteln der politischen Öffentlichkeits- und Parteiarbeit immer weniger junge Menschen.
    Veranstaltungen von Parteien und auch von Vereinen werden immer weniger von jungen Menschen besucht. Immer mehr junge Menschen sind an Politik nicht mehr interessiert, oder driften in das rechtsradikale Spektrum, welches gezielt jugendaffine Mitgliederwerbung betreibt und jugendaffine Medien nutzt, ab.

    Um dieser Abkehr von der Politik entgegen zu wirken, muss sich die Politik auf die jungen Menschen einlassen und sie dort abholen wo sie sich aufhalten. Dazu gehört auch jugendaffine Medien zu nutzen, auf diesem Wege über Politik transparent zu informieren und die jungen Menschen für Politik zu interessieren und mit ihnen in Interaktion zu treten.

    Eine dieser Möglichkeiten ist der online Kurznachrichtendienst „Twitter“.

    Genau so ist es und wir sollten uns diesen Weg als Ratsleute der Stadt Aachen nicht verbauen, sondern gemeinsam eine Möglichkeit finden, wie wir die Chancen dieses „neuen“ Mediums zielgerichtet nutzen können.

    Ich bin gerne zu einem konstruktiven Dialog bereit und hoffe, dass diese Bereitschaft auf allen Seiten besteht.

    Update: Der folgende Austausch von Argumenten fand im Laufe des 8.4.2011 auf der Kontaktplattform „Facebook“ statt.

    Kritik: „Notenvergaben und bewertende Stellungnahmen sind keine Öffentlichkeitsarbeit sondern Parteipolitik. Vor diesem Hintergrund muss eine gewisse Neutralität gefordert werden. Wenn das Presseamt Abstimmungsergebnisse twittern würde, sähe das schon ganz anders aus. Es steht einem Ratsmitglied nicht zu, pauschal und wertend über Wortbeiträge zu twittern.“

    Meine Antwort: „Was die Notenvergabe angeht – ja, der Vorwurf ist berechtigt, aber ich fürchte, ein Ratsherr selbst wird ohnehin nie ganz neutral sein können und Twitter lebt gerade davon, dass verschiedene Meinungen präsent sind.

    Hinzu kommt, dass 140 Zeichen sehr kurz sind. Die politische Arbeit lebt von Bewertungen. Wir bewerten die Vorlagen der Verwaltung und stimmen zu oder nicht, wir bewerten Redebeiträge und Argumentationsstränge in unseren Antworten und suchen auf diese Weise einen Kompromiss oder die Abstimmung.
    Wir bewerten auch die Haushaltsreden – sei es durch Klopfen oder durch anschließende Gespräche mit der Bürgerschaft.

    Twitter stellt pro Tweet 140 Zeichen zur Verfügung – leider werden dadurch manche differenzierten Aussagen eben härter formuliert, als man es sich wünschen würde. Wenn dies einen der Betroffenen verletzt hat, entschuldige ich mich gerne bei der Person. Da sich aber nach nunmehr fast 1900 Tweets noch niemand bei mir beschwert hat, denke ich, dass der angesprochene Beitrag wohl kaum den Sturm der Entrüstung gegenüber einem ganzen Medium rechtfertigt.

    Trotzdem sehe ich ein, dass man sich auf Regeln einigen sollte und habe diesbezüglich ja schon einen Vorschlag gemacht. Wie gesagt, ich bin mir der Brisanz der gekürzten und damit pointierten Aussagen bewusst, denke aber, dass niemand etwas gegen „Die Rede war meiner Ansicht nach rethorisch umwerfend, auch wenn der Inhalt in meinen Augen nicht die richtigen Prioritäten für unsere Stadt gesetzt hat.“ gesagt hätte. In Schulnoten sieht das dann natürlich undifferenziert aus und gibt nur meine Meinung wieder, aber das ist eben das Medium.

    Welcher meiner eigenen Tweets war denn so unsachlich oder verletzend, dass ich mich als Gesprächspartner disqualifiziere? Ich bin ggf. gerne bereit zu lernen und meinen Fehler zu korrigieren.“

    Themen: Kommunalpolitik, Presse