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Entgeltloser ÖPNV für Aachen nicht sinnvoll

06. September 2010

Entgeltloser ÖPNV für Aachen nicht sinnvollIch kann es nicht anders ausdrücken, ich bin enttäuscht. Als wir am Freitag den Vortrag (hier die Folien) hörten, hatte ich zwar schon aufgrund verschiedener, anderer Berichte grundlegende Bedenken – außerdem hatte sich die SPD Fraktion in Aachen ja schon Ende der Neunziger Jahre mal intensiv mit dem Thema befasst – aber als uns dann aktuellere Forschungsergebnisse präsentiert wurden, war es ganz vorbei.
Der entgeltlose ÖPNV ist ein Gestaltungsinstrument, das sich nur unter sehr spezifischen Gegebenheiten bewährt, die für Aachen so nicht vorliegen.
Aber fangen wir vorne an:

Die Referenten Dr. Torsten Geißler und Dipl.-Wirt. Ing. Martina Jetzki gaben zunächst einen Überblick über die Rolle das ÖPNV, der uns verdeutlichte, wie rentabel unser öffentlicher Verkehr insgesamt ist, wenn man ihn volkswirtschaftlich untersucht. Nicht nur die Erfüllung des Grundbedürfnisses nach Mobilität sondern auch die direkt und indirekt entstehenden Arbeitsplätze fallen dabei massiv ins Gewicht.

Im Anschluss haben wir dann die Auswirkung verschiedener Faktoren wie Preis, Qualität, Taktfrequenz oder Zuverlässigkeit auf die Nutzungswahrscheinlichkeit des ÖPNV untersucht und – für mich doch eher überraschend – wurde dabei der Preis als relativ unbedeutendes Element identifiziert. Zwar darf der Preis nicht beliebig steigen, will man jedoch die Menschen dazu gewinnen, mehr das Bus- und Bahnsystem zu nutzen, sind andere Arbeitsfelder wesentlich bedeutsamer.
Da die Kosten für das Ticketwesen nur einen Bruchteil der Gesamtausgaben der Verbände ausmachen, ist eine Einführung des Nulltarifs alles andere als Kosten neutral. Im Gegenteil: Die wegbrechenden Einnahmen sind in der Praxis nur schwer zu kompensieren. Das Beispiel Templin zeigt, dass ein wirklich entgeltloser ÖPNV nicht zu finanzieren ist. Hier wurde über den Umweg über die Kurkarte der Nulltarif wieder abgeschafft. Derzeit zahlen alle Touristen sowie die Nutzer des ÖPNV 44,- Euro pro Jahr um die wenigen Buslinien zu finanzieren. Natürlich lohnt sich volkswirtschaftlich jeder Euro, den man in den ÖPNV investiert, die effizienteste Stellschraube ist aber gerde NICHT der Preis.

Es fällt auf, dass der entgeltlose ÖPNV auch ohne Berücksichtigung der immensen Kosten im allgemeinen deutlich mehr Nach- als Vorteile mit sich bringt.
So stiegen mehr Menschen vom Fahrrad oder Turnschuh auf den Bus um, als vom Auto und das dann auch noch insbesondere in den Spitzenstunden der Verkehrsbelastung, was wiederum einen größeren Buseinsatz induzierte. Der Modalsplit, also die Verteilung der Verkehrsmittel, wurde also durch den entgeltlosen ÖPNV sogar schlechter (!) und damit die Umwelt stärker belastet.

Auch ergab sich der Effekt, dass die Menschen den Faktor Mobilität nicht mehr finanziell bewerten. Wenn es nichts kostet, zum Supermarkt zu fahren, fährt man auch gerne häufiger. Dies führte wiederum zu einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens.

Es gab noch einige weitere Argument, aber ich denke, schon die hier angegebenen Punkte disqualifizieren den kostenlosen ÖPNV als globale Lösung. Dennoch gab es Ansätze, das Instrument intelligent zu nutzen: Bei Verkehrsmitteln mit hohen Fixkosten, als Werbemaßnahme für die Einführung neuer Linien/Standards/Verkehrsmitteln oder in Nebenzeiten kann sich der Nulltarif bewähren. Ich dachte dabei an die Einführungsphase der Campusbahn und werde diesen Vorschlag auch bei der nächsten Steuerungsgruppe einbringen.

Nach dem Rückschlag zum entgeltlosen ÖPNV wurden uns aber noch einige andere Mittel präsentiert, die man nutzen kann, um Busse und Bahnen attraktiver zu machen. Hier reichte die Palette von besseren Bussen über erhöhte Taktfrequenzen bis zu freundlicheren BusfahrerInnen. All dies lässt sich natürlich nur mit mehr Geld verwirklichen, so dass wir uns vor dem Hintergrund sinkender Landes- und Bundeszuschüssen über alternative Finanzierungsmethoden Gedanken machen müssen.
Hier wurden seitens der Wissenschaftler unterschiedliche Modelle präsentiert.

Das Prinzip hierbei soll eine Kostenverteilung zwischen indirekten Nutzer (tragen Infrastrukturkosten) und Fahrgästen (Betriebskosten) sein. Dies kann z.B. durch eine Dienstgeberabgabe (Wien) oder ein Versement transport (Transport-Steuer / Paris und Umland) geregelt werden. Leider ist eine solche Abgabe in Deutschland rechtlich nicht vorgesehen, so dass eine Finanzierung der Baumaßnahmen durch ansässige Gewerbebetriebe als einzige Möglichkeit übrig bleibt (Linie 5 der KVB – IKEA).
Dieses Modell fanden wir interessant und überlegen, ob eine Aachener Stadtbahn nicht auf diese Weise teilfinanziert werden könnte.

Insgesamt war die äußerst gut besuchte Veranstaltung hoch interessant und mir persönlich hat sie viele Hintergrundinformationen gebracht, die mir so vorher nicht bekannt waren. Vielen Dank an die Diskutanten und die Referenten!

Update: Siehe auch hier…

Themen: Kommunalpolitik, Landes-, Bundes- und Europapolitik