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Aachen bekommt die vierte Gesamtschule

02. April 2009

Aus den Aachener Nachrichten – von Margot Gasper

Aachen. Im August 2010 soll Aachen eine vierte Gesamtschule bekommen. Darauf haben sich am Mittwoch SPD, Grüne und CDU geeinigt. Mit einem gemeinsamen Ratsantrag wollen die drei Fraktionen das Antragsverfahren für eine «integrierte Gesamtschule als Stadtteilschule» auf den Weg bringen.

«Zum Schuljahr 2010/11 sollen Eltern ihre Kinder an dieser neuen Gesamtschule anmelden können», erklärte SPD-Fraktionschef Heiner Höfken.

Ihren Standort soll die vierte Gesamtschule im Ostviertel erhalten, im Geschwister-Scholl-Gymnasium an der Stolberger Straße. Der Gymnasialbetrieb dort soll ab 2010 auslaufen. Auch die Hugo-Junkers-Realschule und die Hauptschule Aretzstraße sollen in die neue Gesamtschule überführt werden. Das bedeutet konkret: Wird das Projekt genehmigt, dürfen diese Schulen ab August 2010 ebenfalls keine neuen Anmeldungen mehr annehmen.

Die Zukunft des Schulsystems wird in Aachen seit Monaten heiß diskutiert. Noch im März erhielt die Verwaltung von den Schul- und Jugendpolitikern den Auftrag, Kooperationsmodelle auszuloten. Der Antrag der drei großen Fraktionen kam daher am Mittwoch einigermaßen überraschend.

«Ja, die CDU gehört nicht zu den heißesten Liebhabern der Gesamtschule», erklärte CDU-Fraktionsvorsitzender Harald Baal. Aber in der derzeitigen Situation seien «ideologiefreie und lösungsorientierte Ansätze» gefragt. «Uns geht es um den Erhalt eines vielfältigen Schulsystems.» Der Beschluss in der CDU-Fraktion sei im Übrigen einstimmig und ohne Enthaltung gefasst worden.

Mit den anderen Fraktionen sei man sich einig, erklärte Baal, dass gerade das Ostviertel ein durchlässiges Schulsystem brauche, das alle Schulabschlüsse bis zum Abitur ermögliche. «Wir brauchen im Ostviertel ein umfassendes Angebot», betont auch der SPD-Schulexperte Claus Haase.

Keine Verbundschulen

Die einmütige Weichenstellung für die vierte Gesamtschule hat wohl viel damit zu tun, dass andere Denkmodelle derzeit überhaupt keine Chance auf Genehmigung hätten. Verbundschulen, die auch im Gespräch waren, zum Beispiel will Düsseldorf nur für den ländlichen Raum erlauben.

Mit der vierten Gesamtschule wollen die drei Fraktionen auf rückläufige Schülerzahlen reagieren, aber auch dem anhaltenden Zulauf für die Gesamtschulen gerecht werden. Allein fürs kommende Schuljahr konnten mehr als 250 Kinder nicht aufgenommen werden. «Endlich haben wir da eine Lösung», jubelte Grünen-Fraktionssprecher Michael Rau. Dass auch die CDU mitzieht, findet er «genial».

Nach den Vorstellungen von SPD, Grünen und CDU soll die neue Gesamtschule eng mit Einrichtungen und Betrieben im Ostviertel zusammenarbeiten und sich so profilieren. Das soll vor allem Schülern, die nicht das Abitur anpeilen, bessere berufliche Perspektiven eröffnen. Integration und bessere Bildungschancen sollen pädagogischer Schwerpunkt sein – besonders für Schüler aus Zuwandererfamilien.

Für die drei betroffenen Schulen ist die Initiative von CDU, SPD und Grünen allerdings ein ziemlicher Hammer. «Für mich und mein Kollegium ist das niederschmetternd», sagt Klaus Becker, Schulleiter am Geschwister-Scholl-Gymnasium. Im Sommer erst wird die Schule Ganztagsgymnasium, daran habe man über Monate intensiv gearbeitet. «Ich hätte mir gewünscht, dass man uns noch ein Jahr länger Zeit gäbe, uns zu beweisen», so Becker, «jetzt wird im Keim erstickt, was wir gerade angefangen haben.»

Manfred Paul, Schulleiter an der Aretzstraße, sorgt sich um die individuelle Förderung: «Ich glaube, dass nicht alle unsere Schüler in einer großen Gesamtschule gut beschult werden können. Für diese Schüler brauchen wir etwas Besonders. Die Gefahr besteht, dass viel Förderung verlorengeht.»

«Aprilscherz?»

Genau das soll aber nach Vorstellung der Fraktionen nicht passieren. «Die guten pädagogischen Konzepte der drei Schulen sollen fortgeführt und weiterentwickelt werden», wünscht sich die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Karin Schmitt-Promny.

Herbert Strohmayer, kommissarischer Schuleiter an der Hugo-Junkers-Realschule, glaubte am Mittwoch im ersten Schreck an einen Aprilscherz, als er von der Gesamtschul-Initiative hörte. Erst letzte Woche habe man doch mit der Verwaltung in einem Workshop gesessen und Kooperationsmöglichkeiten erörtert. «Wir sehen Perspektiven für eine gute Zusammenarbeit, aber als eigenständige Schulen», so Strohmayer. «Wir liefern erfolgreiche Arbeit, es wäre Wahnsinn, das jetzt aufzugeben.»

Die Linksfraktion indes registrierte die Gesamtschul-Initiative von SPD, CDU und Grünen am Mittwoch mit großer Genugtuung. Die Linken fordern diese vierte Gesamtschule schließlich schon seit gut einem Jahr. «Gute Idee überzeugen manchmal eben doch», kommentierte der stellvertretende Fraktionssprecher Andreas Müller. Durch das Schulgutachten sei allerdings «wertvolle Zeit verlorengegangen». Die vierte Gesamtschule müsse jetzt schnell eingerichtet werden.


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Themen: Kommunalpolitik, Presse